Was kommt nach der Digitalisierung? Der Mensch hinter der Technik

Ein Gastbeitrag von Erik Händeler. Er ist Zukunftsforscher, freier Wirtschaftsjournalist, Redner. Bücher: Die Geschichte der Zukunft, Brendow, 11. Auflage 2018. Und: Der Wohlstand kommt in langen Wellen, Brendow, 9. Auflage 2024. 

Multikrise: Was bisher funktionierte, funktioniert so nicht mehr. Und es scheint unklar, was danach kommt. Jahrzehnte, ja jahrhundertelang waren wir gewohnt: Nach einer Zeit von Unruhe und Wirtschaftskrisen lässt eine neue Technik die Wirtschaft wieder boomen und sorgt für Stabilität. Doch jetzt? Computer haben uns seit den 1970er Jahren produktiver gemacht, in mehreren Schüben: Großrechner, der PC in jedem Haushalt, Maschinensteuerung, Handy, dann Internet. KI ist ein wichtiger Baustein, aber wird von den heutigen Erwartungen überfordert: Denn es ist der Mensch hinter der Technik, der die Fragen stellt, der die KI beauftragt, der entscheidet, was er von den KI-Ergebnissen übernimmt. Und er bleibt gegenüber jedem Worthülsen-Taschenrechner in seiner Kreativität überlegen.  

Was an Arbeit wächst, ist Wissensarbeit: Planen, organisieren, analysieren und entscheiden, Wichtigkeiten festlegen, beraten, Probleme lösen: Das benötigt ganz andere Eigenschaften als die, die wir von früher übernommen haben. Nachdem Maschinen uns die materielle Arbeit weitgehend abgenommen haben und Computer die strukturelle Wissensarbeit wie eben KI, Datenanalyse und Maschinensteuerung, bleibt an Arbeit die Arbeit am Menschen, sowie die Arbeit mit Wissen – zwischen Menschen.  

Das setzt die bisherigen Organigramme unter Druck. Denn der Fachmann kennt sich besser aus als sein Chef (m/w). Deswegen muss er gehört werden und muss ihm widersprechen können. Zwar braucht es wie bisher eine klare Verantwortlichkeit. Wichtiger als bisher wird es, dass Sachfragen vorher transparent und nach inhaltlichen Kriterien breit diskutiert und bearbeitet werden, was dem Projekt dient – Status, Macht und persönliche Beziehungen verschlechtern die Qualität der Entscheidung.  

Auf einmal müssen die Beteiligten ihr Verhalten reflektieren – es gibt wohl kaum etwas konfliktträchtigeres. Wer weiterhin zu seinem Spezl hält anstatt zu dem mit dem besseren Argument, und wenn Sachfragen durch Macht entscheiden werden, dann sind solche Firmen in Zukunft nicht ausreichend produktiv – sie werden den anstehenden Umbruch nicht überleben. Denn das macht den entscheidenden Unterschied aus: Kapital kann sich jedes Unternehmen weltweit leihen. Jeder kann sich jede Maschine und Anlage einkaufen (zumindest, wenn man keine anderen Länder überfällt und dann mit Sanktionen belegt werden). Das Wissen der Menschheit kann sich jeder im Internet holen, jeder seine Produkte dort weltweit vermarkten, jeder für zwei Stunden einen Spezialisten in Paris anmieten. Was am Ende den Unterschied macht in der Produktivität eines Unternehmens und eines Landes, was über Preise und Gewinne entscheidet, ist die Fähigkeit der Menschen vor Ort, mit Wissen umzugehen. Das hat eine völlig neue Qualität: Denn Arbeit mit Wissen ist immer auch Zusammenarbeit mit Menschen, die wir unterschiedlich gut kennen, unterschiedlich gerne mögen, und mit denen wir unterschiedlich viele, berechtigte Interessenskonflikte haben.  

Erfolgreich werden Unternehmen sein, wo die Mitarbeiter sich dafür einsetzen, dass das Projekt gelingt, und die berechtigten Interessen der Kollegen, der Kunden und Lieferanten berücksichtigen, anstatt sich vorrangig für ihre Kostenstelle und Karriere zu interessieren. Das ist eine ethische Frage, keine technische.  

Vom produktiven Anwenden von Wissen hängt ab, ob Wirtschaft und Politik sich stabilisieren. In der Geschichte gab es immer lange Zeiten, in denen grundlegende Erfindungen wie Dampfmaschinen, Eisenbahnen oder zuletzt der Computer unsere Produktivität enorm steigerten und einen langen Boom auslösten, Kondratieff-Zyklen. Bis die Basisinnovation fertig investiert war und es keinen Kostensenkende Wirkung mehr gab, die Wirtschaft stagnierte, mit Arbeitslosigkeit, Verteilungskämpfen und Handelskriegen. Nachdem wir 200 Jahre lang die materiellen und energetischen Arbeitsprozesse durchrationalisierten und Computer/KI die strukturierte Wissensarbeit übernehmen, geht es jetzt darum, das Anwenden von unscharfem Wissen zwischen Menschen grundlegend besser hinzubekommen.  

Zukunft, Wohlstand, Stabilität: Sucht sie vor allem in der Organisation, in der Unternehmenskultur, in der Fähigkeit zur Zusammenarbeit. 

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